Rede von MdB Günter Baumann im Deutschen Bundestag

 

Aktuelle Stunde 22.9.2004 auf Antrag der FDP

„Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen von Bundesminister Schily über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Antrag auf Verbot der NPD“

 

 

Sehr geehrter Präsident,

meine Damen und Herren,

 

der Wahlerfolg der NPD vom vergangenen Wochenende in Sachsen kam nicht völlig unerwartet.

Bereits im Juni dieses Jahres erzielten NPD und Republikaner bei den Europa- und Kommunalwahlen in Sachsen zusammen 6, 7 Prozent.

In einigen Kommunen kam die NPD auf noch höhere Prozente.

 

Der Schock bei allen Demokraten sitzt tief, dass trotz intensiver Aufklärungsarbeit insbesondere junge Wähler auf die braunen Stimmenfänger hereingefallen sind.

Von dieser Wahl geht ein negatives Signal aus.

Die internationale Presse hat auf den Titelseiten umfassend von der Sachsenwahl berichtet.

Das positive Ansehen und die erfolgreiche Wirtschaftspolitik Sachsens kann Schaden nehmen.

der Ministerpräsident wurde vor wenigen Tagen wegen der wirtschaftlichen Daten im Freistaat MP des Jahres

Ohne in Panik zu verfallen, müssen wir eine selbstkritische und offene Ursachenanalyse vornehmen.

 

Der Bundesinnenminister Schily hat mit der Suche nach den Ursachen bekanntlich schon vor dem Wahlerfolg der NPD am vergangenen Sonntag begonnen und das Bundesverfassungsgericht für den Einzug der Rechtsextremen in den sächsischen Landtag verantwortlich gemacht.

 

Herr Innenminister, das war das Gegenteil von Ursachenforschung.

Der NPD-Verbotsantrag ist schließlich im März 2003 an Verfahrensfehlern gescheitert, die Ihr Haus selbst mitzuverantworten hat!

Aus der damaligen mangelhaften Abstimmung zwischen Bund und Ländern, insbesondere der fehlerhaften Abstimmung zwischen Bundesverfassungsamt und Landesämtern hätten Sie als Verfassungsminister längst Konsequenzen ziehen müssen!

 

Den Verfahrensfehlern zum Trotz war der Verbotsantrag inhaltlich gut begründet und hat den Nachweis der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der NPD, ihres Antiparlamentarismus und Rassismus erbracht.

 

Dennoch kommen mir heute die Zweifel,  ob das Verbotsverfahren prinzipiell eine angemessene Strategie gegen die NPD gewesen ist.

Die Kehrseite war doch – wie auch schon bei der ersten Verbotsdiskussion von 1968 – die außerordentliche Aufmerksamkeit der Medien, die der NPD plötzlich zukam.

 

Ich werfe diese Frage auf, weil ich auch während des sächsischen Wahlkampfs das Gefühl hatte, dass die NPD nicht unerheblich von der Berichterstattung und der öffentlichen Diskussion über diese Partei profitiert.

So haben  z.B. die „tagesthemen“ am 6. September von einer NPD-Kundgebung in meiner Heimatstadt Annaberg-Buchholz berichtet. Es handelte sich dabei um einen mehrminütigen Hauptbeitrag.

Die NPD-Demo auf dem Annaberger Marktplatz wurde so zu einem Ereignis mit nationalem Nachrichtenwert.

Der Tenor dieses Beitrags lautete: NPD in Sachsen auf dem Sprung in den Landtag.

Das ganze wurde durch Interviews mit drei  NPD-Anhängern unterstrichen.

Ein Anruf im Wahlkreisbüro ergab jedoch ein anders Bild:

Die Veranstaltung mit maximal 10 NPD Leuten hatte nicht mehr als 20 Zuhörer angelockt.

Diese Form der Berichterstattung hat die Aufmerksamkeit für diese Partei künstlich in die Höhe getrieben.

Sie hat damit – gewiss ungewollt – Werbung bei all denjenigen betrieben,  die nach einem radikalen Angebot suchten.

 

Damit komme ich zu einer weiteren Frage nach den Ursachen des NPD-Erfolgs in Sachsen:

warum haben so viele Menschen ihre Stimme einer Partei gegeben, die keine sachpolitische Lösung unserer Probleme anzubieten hat, sondern nur Hass auf unsere Republik?

Der größte Teil der NPD-Wähler ist gewiss nicht rechtsextrem, sondern hat mit seiner Stimme seinen Unmut und seine Wut zum Ausdruck gebracht.

 

Diese Wut hat einen Namen: „Hartz IV“. „Hartz IV“ hat ein Gefühl der Stagnation und der Aussichtslosigkeit, das im Osten viele Langzeitarbeitslose und junge Menschen betrifft, auf die Spitze getrieben und ins Aggressive gewendet.

Wenn ich „Hartz IV“ sage, dann meine ich nicht das konkrete Gesetz, sondern wie dessen Inhalte in der Öffentlichkeit diskutiert worden sind und wie die Umsetzung erfolgt.

 

Die Informationspolitik der Bundesregierung war ein Desaster.

 

Dieses Desaster wiederum war die Voraussetzung dafür, dass andere ihr Geschäft mit der Panik betreiben konnten – Medien genauso wie Links und Rechtsextreme.

 

Hier müssen wir die Konsequenz ziehen:

die Reformen frühzeitig und besser erklären und vor allem:

den neuen Ländern arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisch endlich wieder eine Perspektive geben.

 

Nur das ist eine angemessene Antwort auf den NPD-Erfolg – nicht aber die Richterschelte des Bundesinnenministers.