Günter Baumann, MdB

 

Rede von Günter Baumann, MdB am 20.09.2007 zu TOP 19 a) und b):
Top 19a: Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Das Schengen Informationssystem im europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts transparent und bürgerfreundlich gestalten (Drs. 16/5966)
Top 19b: Antrag Die Linke:
Zugriff von Geheimdiensten auf das Schengener Informationssystem der zweiten Generation verhindern (Drs. 16/3619, 16/ 4270)

 


 

Herr Präsident,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

wie die meisten Kollegen wissen, liegt mein Wahlkreis Annaberg/ Aue-Schwarzenberg  direkt an der Grenze zu Tschechien. Somit ist die Thematik der Sicherheit und damit verbunden die Einführung des Schengener Informationssystems der 2. Generation einhergehend mit der Grenzöffnung für mich sehr bedeutsam. Deshalb werde ich gern auch der Fraktion BÜNDNIS 90/ Die GRÜNEN den Fahrplan der Einführung von SISone4All und darüber hinaus von SIS II gern erläutern.

 

Jedoch möchte ich vorerst einen kurzen Abriss über die geschichtliche Entstehung des Schengenraumes geben. Schon die Römischen Verträge von 1957 und der Benelux-Vetrag von 1958 enthielten die Idee der Freizügigkeit von Personen und Gütern. Am 15. Juni 1985 vereinbarten Vertreter von Deutschland, Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden im luxemburgischen Schengen ein Übereinkommen.  Dessen Ziel lautete, dass die Binnengrenzen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden dürfen. Den Gründerstaaten des Schengener Abkommens schlossen sich schnell weitere europäische Staaten an.

Neben den klaren Vorteilen eines gemeinsamen Schengengebietes für die Wirtschaft und den Tourismus durch beispielsweise einen gemeinsamen Zollraum, das Reisen ohne Grenzkontrollen und eine gemeinsame Währung gibt es auch nach wie vor sicherheitspolitische Bedenken. Durch ein grenzenloses Europa gibt es keine stationären Grenzkontrollen, die als Filter gegen organisierte Kriminalität und Schleuserbanden eingesetzt werden können. Somit ist es von hoher Wichtigkeit die Außengrenzen der Schengen-Staaten verstärkt zu sichern und dort zu kontrollieren. Für diese grenzüberschreitende Polizei- und Justizarbeit wurde das Schengener Informationssystem (SIS I) entwickelt. SIS ist ein elektronisches Personen- und Sachfahndungssystem, in dem Informationen zu den Bereichen Festnahmeersuchen, Übergabe und Auslieferung, das Auffinden von Vermissten, Asylanträge und Gefahrenabwehr enthalten sind. Somit bietet es den zuständigen Behörden der einzelnen teilnehmenden Mitgliedstaaten ein Abfragesystem für Informationen über Personen und Gegenstände, die von  anderen Mitgliedstaaten eingestellt worden sind. Diese Möglichkeit der Informationsabfrage über die einzelnen nationalen Datenbanken hinweg,  dient wesentlich der inneren Sicherheit des Schengen-Raums. Das Schengener Informationssystem hat sich seit seiner Einführung 1995 bewährt. Wie man der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der LINKEN (Drs. 16/1044) vom 24.03.2006 entnehmen kann wurden im Zeitraum von 1995 bis 31.12.2005  882 627 Einträge über Personen und 13 779 800 über verloren gegangene oder gestohlene Gegenstände erstellt. Somit ist SIS heute das System einer leistungsstarken Zusammenarbeit der nationalen Polizeien, das sich durch eine einfache Benutzbarkeit und kurze Aktualisierungszeit auszeichnet. 

 

Abgesehen von dem Schengener Informationssystem wurde und wird eine Zusammenarbeit der jeweiligen nationalen Polizeien in den Grenzregionen groß geschrieben. Diese polizeiliche Zusammenarbeit, vordergründig von Schengen und Nicht-Schengen-Staaten, wurde durch bilaterale Abkommen geregelt. Beispielsweise trat das 1. Abkommen dieser Art zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik im Jahr 2002 in Kraft. Darin wurde festgelegt, dass deutsche und tschechische Beamte zusammen auf Streife im Grenzgebiet gehen können. Darüber hinaus besteht seit dem Abkommen die Möglichkeit der Nacheile für die Beamten auf das jeweils andere Hoheitsgebiet. Nach wiederholten Besuchen und dem daraufhin folgenden Informationsaustausch mit den Beamten vor Ort an den Grenzübergängen in meinem Wahlkreis, bin ich zu der Ansicht gelangt, dass dieses System der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Verhinderung von Schleusungen gut funktioniert und hoffentlich neben der Einsetzung des SISone4All fortgeführt wird.

 

Das gegenwärtige SIS I+ ist für 18 Staaten ausgelegt (für 15 Mitgliedstaaten und Island, Norwegen und gegebenenfalls ein weiteres Mitglied). Durch die Erweiterung der EU-Mitgliedstaaten auf nunmehr 27 ist auch das SIS I +, das eben auf 18 Staaten begrenzt ist, technisch ausgereizt. Jedoch ist die Teilnahme der europäischen Mitgliedsstaaten an dem Schengener Informationssystem eine Voraussetzung für den Wegfall der Grenzkontrollen.

Somit musste eine Weiterentwicklung des SIS I vorgenommen werden. Die Europäische Kommission erstellte 2002 eine Durchführbarkeitsstudie in der die technischen, finanziellen und organisatorischen Aspekte behandelt wurden. 2004 gab die Europäische Kommission grünes Licht für die Entwicklung des SIS II. Ursprünglich war der Start des neuen Systems für März 2007 vorgesehen, jedoch kam es bei der Realisierung immer wieder zu Verzögerungen, die überwiegend auf technischen Problemen beruhen; unter anderem stellten sich Schwierigkeiten beim Überspielen der Daten von SIS I auf SIS II heraus. Die derzeitige Planung zur Einführung von SIS II geht von Ende Dezember 2008 als Starttermin aus.

Da eine Integration der  neuen Mitgliedstaaten in das aktuelle SIS I+ technisch nicht realisierbar ist, wird seit dem 5.12.2006 als Zwischenlösung das SISone4All entwickelt. Dieses SIS enthält alle Funktionen des derzeitig angewendeten SIS I+. Es dient ausschließlich dem Anschluss weiterer Staaten an das Schengener Informationssystem. An dem SISone4All nehmen 24 Staaten teil. Durch Einsetzung des SISone4All sieht man die Grenzöffnung zu den beteiligten neuen Mitgliedstaaten - Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn und Malta- für den 31.12.2007 (Landgrenzen) und 29.03.2008 (Flughäfen) vor. Im September 2007 wird eine Evaluation über die Nutzungsweise des Schengen Informationssystems durch die neuen Teilnehmerstaaten durchgeführt werden. Es wird geprüft ob die Anwendung des SISone4All konform zu dem Schengen Übereinkommen erfolgt. Denn im Vordergrund steht die Wahrung der Inneren Sicherheit auch nach Wegfall der Grenzkontrollen. Letztendlich entscheidet der Rat der Europäischen Union über die Beendigung der Kontrollen. Vorausgesetzt, dass keine immanenten Defizite oder Versäumnisse festgestellt werden, fallen die Grenzkontrollen zu den zuvor genannten Terminen weg. Diese Entscheidung über die Ausweitung der Schengen-Zone wird definitiv im November dieses Jahres fallen. Somit, werte Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, existieren festgesetzte Fristen für die Grenzöffnungen an die sich die neuen Mitgliedsstaaten orientieren  können.

 

Das SIS II wird einfacher zu verwalten, flexibler und sicherer sein. Im Hinblick auf die reale Terrorgefahr in Europa muss das SIS II

1.     dem neusten Stand der Informationstechnik angepasst werden und

2.     mit neuen Funktionen ausgestattet werden,

um die höchstmögliche Sicherheit in Europa zu gewährleisten.

Im Gegensatz zu Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sehe ich die Verknüpfung von verschiedenen Einträgen nicht als problematisch sondern als essentiell an. Dies dient, meiner Ansicht nach, einer effektiveren Polizeiarbeit. Auch der von Ihnen viel zitierte Datenschutz wird durch hohe Hürden für den Informationszugriff  bewahrt,  denn ein Mitgliedstaat darf nur dann Ausschreibungen miteinander verknüpfen, wenn hierzu eine eindeutige operationelle Notwendigkeit besteht. Ein zweites neues und notwendiges Instrument des SIS II ist die Verwendung von biometrischen Daten. Bei der Heranziehung von diesen biometrischen Daten wird der Datenschutz auch nicht außer Acht gelassen. Denn erst wenn ein Drittstaatsangehöriger durch eine alphanumerische Suche im SIS II gefunden wurde, und nun seine Identität bestätigt werden soll, können biometrische Daten zur Klärung herangezogen werden.

Meiner Meinung nach, bleibt das Schengener Informationssystem im Schwerpunkt ein Fahndungsystem trotz der funktionalen Weiterentwicklungen. Ihre im Antrag dargestellte „Aufweichung der Zweckbindung“ kann ich nicht folglich nachvollziehen.

Das Betriebsmanagement des zentralen SIS II übernimmt eine Verwaltungsbehörde, die aus dem EU-Haushalt finanziert wird. Die Behörde wird die erforderlichen Wartungsarbeiten und technischen Anpassungen durchführen sowie für den problemlosen Betrieb des Informationssystems Sorge tragen. Außerdem wird der Europäische Datenschutzbeauftragte die Verarbeitung personenbezogener Daten überwachen. Die nationalen Kontrollinstanzen und der Europäische Datenschutzbeauftragte werden aktiv zusammen arbeiten und für eine koordinierte Überwachung des SIS II sorgen.

 

Zu dem Punkt der beiden Anträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN den Zugriff von Geheimdiensten auf das SIS II ist soviel zu sagen, dass die Bundesregierung im Rahmen der Innenausschussberatung erklärte, dass die Nachrichtendienste etlicher Mitgliedstaaten aufgrund innerstaatlicher Regelungen Zugriff auf die Daten des SIS hätten. Das wollte die Bundesregierung auch für den deutschen Nachrichtendienst ermöglichen. Dies war im Europäischen Parlament nicht mehrheitsfähig und damit wird dieses Anliegen von der Bundesregierung nicht weiter verfolgt.

Folglich lehne ich beide Anträge ab.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.