Günter Baumann, MdB

 

Plenarrede am Freitag, 17. Juni 2005 zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes/

Stand der Entschädigung der Opfer der SED-Diktatur

 


 

 

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist ein ermutigendes Zeichen, dass trotz Vorwahlkampf alle Fraktionen dieses Hauses sich auf einen gemeinsamen Antrag zugunsten der Hinterbliebenen von Opfern des 17. Juni 1953 geeinigt haben. Denn die historische Verantwortung vor der deutschen Diktaturgeschichte und die Würdigung des Kampfes für Freiheit und Demokratie ist die gemeinsame Aufgabe und Pflicht aller demokratischen Parteien.

Unsere gemeinsame Initiative darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das wiedervereinigte Deutschland gerade bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts noch gravierende politische und moralische Defizite aufweist.

Gerade an Gedenktagen wie dem heutigen tritt doch immer wieder eine unerträgliche Diskrepanz zu Tage.

Wir loben die antikommunistischen Dissidenten und Oppositionellen für ihren Mut und ihre Freiheitsliebe, wir vergegenwärtigen uns das immense Leid, das ihnen durch Verfolgung, Stasiterror, Knast und Folter zugefügt worden ist – und wir lassen es gleichzeitig zu, dass die übergroße Zahl der politisch Verfolgten ihren Altersabend auf Sozialhilfeniveau verbringt!

Wir versagen den Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft rentenrechtlich weitgehend die Würde, die ihnen dank ihres mutigen Einsatzes für Freiheit und Demokratie zweifellos zustünde.

Der Grund hierfür ist, dass das Berufliche Rehabilitierungsgesetz sich nur begrenzt als ein geeignetes Instrument zur materiellen Kompensation von Verfolgungsschäden erwiesen hat.

Das Gesetz  gewährt den Verfolgten zwar einen Nachteilsausgleich, indem Verdienste vor der Verfolgung während der Verfolgungszeit fiktiv fortgeschrieben werden. Dadurch sollen Abstiegsschäden kompensiert werden.

 

 Die überwiegende Mehrheit der SED-Opfer hat aber keine Abstiegsschäden, sondern Aufstiegsschäden erlitten. Die meisten haben sich nämlich dem Regime in einem Alter verweigert, in dem ihre Ausbildung noch gar nicht abgeschlossen war bzw. ihr Berufsleben gerade erst begonnen hatte.

 

Ich denke hier zum Beispiel an einen verfolgten Facharbeiter, Jahrgang 1940, der am Meisterlehrgang gehindert wurde, nur weil er aufgrund seiner pazifistisch-christlichen Gesinnung 1962 den Schießbefehl bei den Grenztruppen verweigerte.

Neben der Behinderung beim beruflichen Fortkommen führte die Verfolgung auch zu schweren psychosomatischen gesundheitlichen Schädigungen. Heute ist dieser Mann in Rente und die politisch motivierten Gehalteinbußen zu DDR-Zeiten wirken sich direkt auf die Rentenhöhe aus.

Er muss Grundsicherung beantragen.

Im Jahr 2001 haben wir das Gesetz parteiübergreifend um eine neue Vergleichsberechnung ergänzt. Ziel war es damals, die infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1999 wachsende Kluft in der Altersversorgung zwischen Systemträgern und Oppositionellen ein wenig zu mildern.

Ich muss feststellen, der Gesetzgeber hat hier völlig versagt: nach der neuen Regelung von 2001 erhalten 60 Prozent der Antragsteller einen Negativbescheid und führen 50 Prozent der Positivbescheide nur zu geringen Rentenerhöhungen von bis zu 25 Euro.

Derartige Bescheide empfinden die Betroffenen als eine Verhöhnung ihrer Biographie.

Es wäre zweifellos eine würdevollere Lösung gewesen, wenn sich die rotgrüne Koalition dem Unionsantrag auf eine pauschale Opferpension angeschlossen hätte.

Die Opferverbände haben sich diese Forderung längst zu eigen gemacht und den Abgeordneten in zahlreichen Briefen vorgetragen.

Exemplarisch zitiere ich aus der aktuellen Ausgabe des „Stacheldraht“, wo Frau Weise vom BSV Berlin-Brandenburg die ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht angeordnete Rentenerhöhung für die DDR-Spitzenfunktionäre kommentiert und mit der Frage schließt:

„[…] wer aber nimmt Anstoß daran, dass keiner der Gesetzentwürfe für eine Opferpension bisher eine Mehrheit im Bundestag erhielt, die Forderungen der Opferverbände ignoriert werden und die ehemals politisch Verfolgten seit nunmehr 15 Jahren immer noch keinen der politischen Verfolgung angemessenen Nachteilsausgleich bei der Rentenberechnung erhalten […]?“

 

Sehr geehrte Damen und Herren, es stünde uns politisch und moralisch gut zu Gesicht, genau daran Anstoß zu nehmen. Auch wenn diese Wahlperiode aller Voraussicht nach schon bald endet, haben wir in der kommenden Sitzungswoche dazu die Gelegenheit.

Dem Petitionsausschuss liegen nämlich derzeit über 260 entscheidungsreife Petitionen von Verfolgten der SED-Diktatur vor, die eine Verbesserung der Rehabilitierungsgesetze fordern und dabei zu einem großen Teil die Einführung einer Opferpension als die beste Kompensation für die rentenrechtlichen Nachteile ihrer Verfolgungsbiographie ansehen. Wir können dieses Petitionsverfahren noch im Juli positiv abschließen.

Die CDU/CSU ist hierzu jederzeit bereit.