MdB Günter Baumann

Plenarrede vor dem Deutschen Bundestag am 17.2.2005

 

TOP 17) Anträge der CDU/CSU

 

a) „Häftlingshilfestiftung erhalten und finanziell ausbauen“ (15/3763; 21.9.2004)

 

b) „Unterstützung für ehemalige politische Häftlinge umgehend sicherstellen“ (BT-Drs. 15/1524; 8.9.2003)

 

 

 

 

Sehr geehrte(r) Präsident(in),

sehr geehrte Damen und Herren,

 

 

Deutsche, die seit dem Zweiten Weltkrieg im kommunistischen Machtbereich politisch verfolgt und inhaftiert wurden, erhalten im Fall einer wirtschaftlichen Notlage auf Antrag eine finanzielle Unterstützung.  So sieht es das Häftlingshilfegesetz in § 18 vor. Der davon betroffene Personenkreis reicht von den Zivildeportierten jenseits von Oder und Neiße in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zu den Verfolgten des SED-Regimes, von denen viele erst Ende 1989 in die Freiheit entlassen worden sind. Die Bundesrepublik hat das Häftlingshilfegesetz geschaffen, um diesen Menschen in Notsituationen unter die Arme greifen zu können, – und sich damit zu ihrer besonderen moralischen Verantwortung für die Opfer des Kommunismus bekannt.

 

Leider müssen wir in der Praxis seit einigen Jahren ein massenhaftes Vollzugsdefizit feststellen. Wer von den Anspruchsberechtigten in einer wirtschaftlichen Notlage steckt, braucht einen langen Atem und viel Ausdauer.

Bei einem 73jährigen Mann aus meinem Wahlkreis,

der 1945 als Schüler aus Polen in die Sowjetunion verschleppt und dort zwei Jahre zur Zwangsarbeit gezwungen worden war,

dauerte es fast drei Jahre, bis er das benötigte Geld ausgezahlt bekam.

Was war der Grund? Zunächst die mangelnde Ausstattung unserer HHG-Behörden, wo die wenigen Mitarbeiter der wachsenden Zahl von Anträgen kaum gewachsen sind und schnell anderthalb Jahre ins Land gehen können, bis der Antrag geprüft wird. Bei einer „wirtschaftlichen Notlage“ ist das viel Zeit. Eine Notlage ist schließlich immer eine akute Lage.

Dem älteren Herrn aus meinem Wahlkreis war schon diese Verzögerung nicht zu vermitteln. Es sollte aber noch schlimmer kommen: als das Prüfverfahren für ihn erfolgreich abgeschlossen war, sah der Mann immer noch kein Geld. Die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge hatte nämlich im Sommer 2003 ihre finanziellen Mittel bereits verbraucht. Im September 2003 erfuhr ich, daß bereits über 800 anerkannte politische Häftlinge vergeblich auf die Unterstützung warteten – alle seit über einem Jahr.

Der Grund ist einfach und zeugt zugleich von dem beschämenden Umgang dieser Bundesregierung mit den Opfern kommunistischer Gewaltherrschaft: Die im Bundeshaushalt eingestellten Mittel für die Häftlingshilfe liegen schon seit einigen Jahren weit unter dem tatsächlichen Bedarf. Durch die chronische Unterfinanzierung läßt die Bundesregierung permanent tausende von Anspruchsberechtigten im Regen stehen. Das strukturelle Defizit der Stiftung vergrößert sich dabei ständig: im September 2004 waren die finanziellen Mittel für das Haushaltsjahr 2004 ebenfalls längst verbraucht und es stauten sich in Bonn bereits 1.300 bewilligungsfähige Anträge.

Niemand käme bei knappen Kassen auf die Idee, einfach die Renten, die Sozialhilfe oder das BaföG nicht auszuzahlen. Bei den ehemaligen politischen Häftlingen hat Rotgrün dies ohne weiteres in Kauf genommen: der viel zu niedrig kalkulierte Haushaltsansatz ist bis heute nicht korrigiert worden. So lesen wir im Bundeshaushalt 2005, daß erneut nur 767.000 Euro der Stiftung zufließen sollen. Dieses Geld wird allenfalls ausreichen, um die Hälfte der bereits vorliegenden bewilligungsfähigen Anträge auszuzahlen: das sind nämlich jetzt, im Februar 2005 schon wieder über 800 – um allein diesen bereits anerkannten Bedürftigen die Hilfe zu gewähren, wären 1, 4 Mio. Euro nötig!

Damit nicht genug, erwartet die Stiftung in diesem Jahr knapp 700 Rückläufe aus den HHG-Behörden mit einem Gesamtbedarf von 850.000 Euro.

Hinzu kommen ca. 250 Anträge, die in nächster Zeit bewilligungsreif werden und eine Ausgabe von weiteren 440.000 Euro erfordern.

Schließlich rechnet die Stiftung im laufenden Jahr mit etwa 1.200 weiteren Antragseingängen. Ziehen wir davon eine erfahrungsgemäße Ablehnungsquote von 30 Prozent ab, bleiben 840 Anträge über, die ein Finanzvolumen von fast 1,5 Mio. Euro erfordern werden.

Diesem in 2005 anfallenden Gesamtbedarf von  4, 16 Mio. Euro für die in wirtschaftliche Not geratenen Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft begegnet die rotgrüne Bundesregierung mit einem Haushaltsansatz von 767.000 Euro. Das ist schändlich – auch vor dem Hintergrund, daß diese Bundesregierung zum 1.7.2005 die Renten von DDR-Funktionären auf Weisung des Bundesverfassungsgerichts erneut erhöhen wird!

 

Ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich, daß die Regierungskoalition schon zweimal bereit gewesen ist, mit überplanmäßigen Ausgaben nachzubessern – und zwar immer dann, wenn unsere Anträge auf der Tagesordnung des Innenausschusses standen: im November 2003 bewilligte Rotgrün eine Finanzspritze von 1 Mio. Euro; im September 2004 sogar 2,7 Mio. Euro. Und gestern hat Kollegin Stokar von Neuforn im Innenausschuss angekündigt, 2005 erneut 2,7 Mio. Euro nachzuschießen.

Dies wird nicht reichen. Aber unsere Anträge haben damit jetzt schon einen für Oppositionsanträge außerordentlichen Erfolg gehabt.

Mit ihren überplanmäßigen Zuweisungen hat die Regierungskoalition öffentlich eingestanden, dass die bisherigen Haushaltsansätze zu niedrig sind. Sie sollte hier und heute aus dieser Erkenntnis die einzig logische Konsequenz ziehen – und unseren Anträgen zustimmen.