03.04.2009

 

 
„Sie sollen doch nur gute Politik machen, das kann doch nicht so schwer sein!“
Einmonatiges Praktikum im Bundestag ermöglicht Studentin aus Annaberg Einblicke in den politischen Alltag


Es ist Mittwoch morgen, kurz nach neun Uhr. Die Sitzung des Innenschauschusses beginnt damit, dass der Vorsitzende die verschiedenen Tagesordnungspunkte verliest und man sich darüber verständigt, welche davon heute ausführlich behandelt werden sollen. Bei Punkt 18 werde ich hellhörig: Es geht um einen Antrag, für den Herr Baumann als Berichterstatter eingesetzt ist, mit dem er sich also schon seit einiger Zeit ausführlich beschäftigt. In den letzten Tagen wurde im Büro viel dazu recherchiert und diskutiert. Gestern schließlich verständigten sich die Innenausschussmitglieder der CDU/CSU-Fraktion auf eine gemeinsame Haltung zum Thema. Während ich die laufende Debatte gespannt verfolge, wird mir plötzlich bewusst, welches Hintergrundwissen ich dadurch, dass ich Herrn Baumann seit geraumer Zeit auf seinen parlamentarischen Wegen begleiten darf, mittlerweile ansammeln konnte.

Seit vier Wochen bin ich nun schon Praktikantin im Berliner Bundestagsbüro von Herrn Baumann und erfahre, wie Politik in der Praxis gemacht wird. Bei meinem Studium der Politikwissenschaft habe ich viele theoretische Erklärungen zur Funktionsweise unseres politischen Systems gehört. Ich habe gelernt, welche Prozesse hinter jedem beschlossenen Gesetz stehen und was Politiker bei ihren Entscheidungen alles zu beachten haben. Und doch ist es etwas vollkommen anderes, all das einmal selbst vor Ort erleben zu können. Dabei ist es sehr beeindruckend zu sehen, wie viele äußerst komplexe Probleme jeden Tag aufs Neue gelöst werden müssen. Damit alle Fachgebiete der Bundespolitik möglichst schnell und sorgfältig bearbeitet werden können, ist gute Organisation in Form von parlamentarischer Arbeitsteilung unablässig, denn nicht jeder Abgeordnete kann ein Spezialist auf allen Gebieten sein. So erklärt sich auch die oft argwöhnisch betrachtete Fraktionsdisziplin: Gelegentlich wird über Themen abgestimmt, mit denen sich der Einzelne nicht auskennt. In so einem Fall ist es wichtig, dass er auf seine Fraktionskollegen vertrauen kann, die das nötige Vorwissen für einen bestimmten Sachverhalt mitbringen und ihm sagen können, welche Entscheidung empfehlenswert ist. Natürlich muss der Bundestag nicht nur fachliche Aspekte beachten, sondern gleichzeitig die Interessen von Millionen von Bürgern im Rahmen seiner Arbeit vertreten. Dazu braucht es die Unterstützung von Mitarbeitern, die die Vorarbeit zu den von den Abgeordneten getroffenen Entscheidungen leisten und die ihnen dabei helfen, den Kontakt zu den Bürgern stets aufrecht zu erhalten. Nicht nur durch Briefe und Anrufe, die Herrn Baumann vor allem aus seinem Wahlkreis Annaberg/Aue-Schwarzenberg erreichen, können Bürger ihre Anliegen den Abgeordneten nahe bringen. Wer Kritik an bestehenden Gesetzen üben oder Verbesserungsvorschläge anbringen möchte, hat ebenfalls die Möglichkeit, jederzeit eine Petition beim Bundestag einzureichen. Ich konnte beobachten, wie vielfältig die von den Bürgern geschilderten Anliegen und Probleme sind und wie engagiert sich die Mitglieder des Petitionsausschusses, zu denen auch Herr Baumann gehört, mit ihnen beschäftigen, auch wenn der Weg bis zum erfolgreichen Abschließen oft sehr mühselig ist.
In meiner Praktikumszeit wurde mir außerdem ein interessanter Widerspruch vor Augen geführt: Gerade in Zeiten einer Krise oder nach einem Ereignis wie dem Amoklauf von Winnenden wird von der Politik eine sofortige Reaktion erwartet. Eine, die besser gestern als heute möglichst geschlossen erfolgt. Eine, die dafür sorgt, dass Schaden begrenzt wird und dass in Zukunft ähnliche Probleme nicht wieder auftreten. Allerdings wird gleichzeitig gefordert, dass die politischen Maßnahmen wie beabsichtigt wirken, dass sie keine Schwachstellen enthalten und obendrein den Interessen der unterschiedlichsten Gruppen entgegenkommen. Um das jedoch gewährleisten zu können, ist es nötig, viele verschiedene Meinungen zu hören, sorgfältig zu diskutieren und am Ende abzuwägen. Nach einem Monat in Berlin ist mir klar geworden: Das alles kann der Bundestag mit seinen 612 Abgeordneten durchaus leisten – aber dafür braucht er Zeit und das Verständnis und die Mithilfe der Bürger.


Anne Richter, Annaberg





 


MdB Baumann, Praktikantin Anne Richter, IPS-Stipendiat Naim Zeqiri